Über Amt und Würde

So habt nun Acht auf euch selbst und auf die ganze Herde, in der euch der Heilige Geist eingesetzt hat zu Bischöfen, zu weiden die Gemeinde Gottes.

(Paulus beim Abschied in Ephesus, Apostelgeschichte 20, 28)

Ihr scheint als Lichter in der Welt, dadurch dass ihr festhaltet am Wort des Lebens. 

 (Philipper 2,15-16) 

 

 Zum Verständnis des Bischofsamtes in der United Methodist Church ist ein klarer Rahmen durch die weltweit gültige Kirchenordnung gegeben. Ich will hier nicht dieses Amt im Grundansatz diskutieren. Aber als Bischof im Ruhestand will ich im Rückblick einzelne persönliche Erfahrungen zum Thema mit meinen Blogleserinnen und -lesern teilen.

 

Bei meiner Wahl zum Bischof der Evangelisch-methodistischen Kirche von Mittel- und Südeuropa im Jahr 1989 war ich 48 Jahre alt. Für die Kirchen in Südosteuropa war das eindeutig „zu jung“! „Ein Bischof ist doch ein würdiger Alter mit weissen Haaren“, lautete da und dort der Kommentar hinter vorgehaltener Hand. Die Enttäuschung war offensichtlich. Im orthodoxen Umfeld hätte vielleicht ein Vollbart dem äusseren Erscheinungsbild eine würdevollere Note geben können.

Als die polnischen Kirchenvertreter entdeckten, dass ich im eigenen Kleinwagen zu kirchlichen Terminen anreise, mahnten sie, dass in der polnischen Kultur ein Bischof eine Limousine mit Chauffeur brauche. So liess ich mich eben von den polnischen Superintendenten zur Sitzung des ökumenischen Rates in Warschau bringen.

 

In Westeuropa hingegen — mit einigen Abstrichen auch in Österreich — war die Kritik an Institutionen und Ämtern schon so weit fortgeschritten, dass die Pastoren mich fragten, ob sie mich in Zukunft wirklich mit „Herr Bischof“ ansprechen müssten. Manchmal war es geradezu peinlich, wenn ich beim Besuch einer Kirchgemeinde nur mit meinem Vornamen begrüsst wurde. Die Methodisten in Frankreich kreierten ihre eigene Begrüssungsformel: Le Pasteur Henri Bolleter, notre évêque. Der Bischofstitel war in Frankreich im freikirchlichen Milieu eher ungewohnt.

 

Kurz nachdem ich mich im Bischofssekretariat in Zürich installiert hatte, besuchte mich der Gemeindepräsident einer grösseren politischen Gemeinde im Kanton Aargau. Er verstand etwas von der Würde und der Bürde eines Amtes. Er empfahl mir, es nie an Sorgfaltspflicht und Gewissenhaftigkeit fehlen zu lassen, und erklärte, was ein solches Amt erfordere. Er hatte bemängelt, dass ich als Redaktor des kirchlichen Wochenblattes etwa auch ungeschützt meine persönliche Meinung kundgetan hätte.

 

Nun war es ja evident, dass sich im Laufe der Zeit auch die kirchliche Leitungskultur veränderte. Mein Vorgänger hatte nach bewährten Vorbildern den Empfang von Gästen und Bittstellern im Bischofssekretariat so geregelt, dass man sich anmelden musste und von der Sekretärin des Bischofs empfangen wurde. Das Besprechungszimmer war mit extra gepolsterten Türen ausgestattet, um die Intimität der Aussprache mit dem Bischof zu gewährleisten. Ich hatte eine ganz andere Vorstellung von Amt und Würde. Ich suchte die Nähe zur Basis der Kirche und wollte einen partizipativen Leitungsstil pflegen. Der Zugang zum Bischof sollte darum möglichst niederschwellig und das Sekretariat für alle offen sein. So organisierten wir im Sekretariat Ausstellungen von Künstlerinnen und Künstlern und waren stolz auf die offene Türe.

 

Diese Offenheit hatte jedoch auch ihren Preis. Randständige hatten die offene Türe zum Bischof entdeckt. Wenn ich nicht unterwegs auf Reisen im grossen Aufsichtsgebiet von Mittel- und Südeuropa war, nahm ich mir öfter Zeit, um ihre Anliegen zu hören. Nicht immer konnte ich ihnen helfen oder ihren Wünschen entsprechen. Ein Ungeduldiger, der vom Bischof eine finanzielle Unterstützung forderte, verlor die Nerven und duschte meinen Schreibtisch und weiteres Mobiliar im Büro mit einer geschüttelten und überschäumenden Cola-Flasche.

 

Nach telefonischer Anmeldung besuchte mich eine Unternehmerin. Sie war als Kind mit ihrer Familie aus Armenien geflüchtet und hatte damals in einer EMK-Gemeinde am Schwarzen Meer lebenswichtige Hilfe bekommen. Zum Dank wollte sie nun, da es ihr jetzt gut ging, ein Zeichen des Dankes geben zur Ehre Gottes. Nach der politischen Wende in den 1990er Jahren waren die Gemeinden in Bulgarien auf Hilfe angewiesen. Hilfe war also willkommen. In mehreren Gesprächen versuchte ich der Frau verschiedene Hilfsprojekte schmackhaft zu machen. Sie jedoch hatte eine Vision, wie sie ihren Dank sichtbar umsetzen könnte. Sie wollte eine grosse Orgel spenden, auf welcher in gotischen Lettern stehen sollte: „Soli Deo Gloria“. Kein bischöfliches Wort konnte sie überzeugen, dass die akute Notlage andere Pläne erfordere. Sie hatte sich durchgesetzt und das Projekt einem Orgelbauer übergeben. Persönlich begleitete sie das Projekt und war dazu mehrfach nach Bulgarien gereist. Schliesslich durfte sie die Erfüllung ihrer Vision „Soli Deo Gloria“ erleben.

 

Andere Begegnungen in meinem Sekretariat trugen nachhaltige Früchte. Ein Treffen zwischen dem Superintendenten aus Prag und dem Leiter für Weltevangelisation des Weltrates Methodistischer Kirchen führte zur Entwicklung des Partnerschaftsprojektes „Connecting Churches“. Gemeinden in den USA halfen in den ehemals kommunistischen Ländern nach der politischen Wende den Neustart von Gemeinden zu unterstützen. Daraus sind bleibende Partnerschaften entstanden. Diese Initiative wurde auch zur Herausforderung für den General Board of Global Ministries, welcher darauf das Programm „in mission together“ initiierte.

 

Das Geheimnis des Bischofsamtes ist es, die Freude am Evangelium zu teilen, Gott zu dienen und den Menschen nahe zu sein. Mein Ziel war es, in einer Zeit des Umbruchs die Mission vor Ort durch meine Vermittlertätigkeit zu stärken und die Verantwortungsträger zu ermutigen. Dieser missionarische Ansatz öffnete viele Türen und stärkte die Zusammenarbeit über alle Grenzen hinweg. So entstand das regelmässige Treffen der Superintendenten als Kernteam sowie die Beauftragung einer Koordinatorin für den Frauendienst in Mittel- und Südeuropa. Auch die Idee, einen Fonds Mission in Europe zu begründen, wurde in Zürich im Gespräch mit dem damaligen Sekretär der Zentralkonferenz von Mittel- und Südeuropa entwickelt.

Je inflationärer der Gebrauch der Begriffe von Institution, Amt und Würde in der modernen Gesellschaft geworden ist, desto mehr zählen die individuellen menschlichen Fähigkeiten. Die Fähigkeit ist gefragt, eine vom christlichen Glauben geprägte Gemeinschaft zu repräsentieren, und das in einer Zeit, da die Glaubwürdigkeit und die Fragilität der Institution Kirche gnadenlos hinterfragt wird.

 

Noch immer trage ich gemäss unserem Kirchenrecht den Titel und die Würde eines Bischofs. Im Ruhestand habe ich jedoch Abstand genommen von jeglichem Versuch, auf die laufenden Prozesse in der Kirche oder gar auf die personellen Entscheidungen Einfluss zu nehmen. Es galt einer nachkommenden Generation ihren Platz zu geben. Das war und ist nicht immer einfach. Das Joch des Amtes ist leichter geworden. Die Dankbarkeit vieler ehemaliger Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und das Netz der persönlichen Beziehungen in Mittel- und Südeuropa hilft einem Bischof im Ruhestand die wachsende Schwäche des Alters zu ertragen und eine Haltung zu bewahren, welche der Würde des Amtes entspricht.

Als aktiver Bischof musste ich wach, entschlossen und stark sein. Die Würde des Alters erlaubt es mir, wach für das Naheliegende zu sein, langsamer zu reagieren und zu meiner körperlichen Schwäche zu stehen.

 

Zum Schluss weise ich hin auf das Büchlein Freude am Evangelium“ — Vier Bischofsbotschaften an die Evangelisch-methodistische Kirche von Mittel- und Südeuropa,112 Seiten, erschienen 2014 im Verlag Books on Demand, ISBN 9783732296958

 

Heinrich Bolleter, Bischof im Ruhestand