Martin Luther und Klement von Ohrid

Ein Zwischenruf zum Reformationsjubiläum

 

Wir feiern 500 Jahre Reformation und stellen erneut fest, dass dieser Aufbruch maßgeblich von Zentraleuropa ausgegangen ist. Wir erinnern an Calvin, Luther, Zwingli und andere Reformatoren.

Wir heben hervor, dass sie Bibel, Bildung und Sprache ins Zentrum gerückt hatten, und dass dies auch eine kritische Sicht auf Leben und Glauben sowie Kirche und Gesellschaft ermöglicht hatte.

 

In Form eines Zwischenrufes möchte ich auf eine andere "Reformation" hinweisen. Im Jahr 2016 haben wir Anlass, ein Jubiläum von 1100 Jahren zu feiern. Im Jahr 916 starb Klement von Ohrid, ein Heiliger der Bulgarisch-, der Mazedonisch- und der Serbisch-Orthodoxen Kirchen.

Es ist interessant, den heiligen Klement von Ohrid (Свети Климент Охридски) neben Martin Luther zu stellen und damit auf einen sehr frühen reformatorischen Beitrag zur Slawischen und Europäischen Kultur aufmerksam zu machen.

 

Klement von Ohrid (ca. 840 - 916) ist der Mitschöpfer des Cyrillischen Alphabets. Mit Bildung und Bibel hat er viel zur "Aufklärung" der Slawen beigetragen. Er war mit Cyril und Methodius unterwegs und hatte zur Popularisierung der Christlichen Texte (Liturgie und Bibel) beigetragen.

Die Brüder Cyril und Methodius wurden vom Byzantinischen Herrscher, Michael III, als Missionare nach Großmähren (Moravien) gesandt, um die Slawen in jener Gegend zum Christentum zu bekehren. Dazu haben sie, basierend auf dem Dialekt in Saloniki, die Alt-Slawische Schrift entwickelt.

 

Das Alt-Slawische mit der cyrillischen Schrift wurde später durch Boris I von Bulgarien zur offiziellen Sprache erklärt. Dies geschah in der Abwehr gegen die griechische Einflussnahme, welche über die vom Byzantinischen Reich ausgesandten Priester die Eigenständigkeit des Bulgarischen Reiches schwächen wollten.

So begründete Boris die ersten Akademien, in welchen die Altslawische Sprache weiter entwickelt und eine unabhängige theologische Ausbildung gefördert wurde.

Klement von Ohrid begründete das Schulwesen in Ohrid. Innerhalb von nur sieben Jahren hatte er etwa 3500 Studenten ausgebildet. 893 wurde er zum Erzbischof der Bulgarisch Orthodoxen Kirche  geweiht. Nach seinem Tod (916) wurde er in Ohrid im Kloster Panteleimon beerdigt. In der Orthodoxie wird er als Vater der Slawischen Sprache und des Schulwesens gefeiert.

 

Klement von Ohrid hat vielleicht einen ebenso großen Beitrag zur Slawischen und Europäischen Kultur geleistet wie 600 Jahre später Martin Luther mit seiner Bibelübersetzung und Verbreitung in Deutscher Sprache. Er hatte das "goldene Zeitalter" für die Slawische Schrift und Literatur sowie das Schulwesen eröffnet. Schrift und Sprache sind stets eng verknüpft mit dem spirituellen und kulturellen Kontext einer Region. Sie werden zu einem Träger der sozialen Identität.

 

Auf diesem Hintergrund können wir eine Entsprechung in der Gestaltung von Schrift, Sprache, Bildung und Bibel bei Klement von Ohrid und Martin Luther erkennen. Das könnte in der Begehung des Reformationsjubiläums ein Fenster in die Slawische Welt öffnen.

 

Heinrich Bolleter, Bischof im Ruhestand.

  

Свети Климент Охридски — Ikone, 14. Jahrhundert aus Ohrid (Republik Mazedonien). Sie stellt den Heiligen Klement von Ohrid dar.

 

 

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