Im gegenseitigen Konkurrenzdruck versuchen die Medien durch „Speed“ und Aufregung Schritt zu halten.
Sogar im Radio ist fest zu stellen, daß die Moderatoren immer schneller sprechen und doch nicht mehr zu sagen haben. Die Aufgeregtheit ihrer Sprache hofiert den Hörer und suggeriert höchste Aktualität. Ich habe die Nase voll von diesem Getue, das außerdem mit möglichst vielen Hörerkontakten verdeckt, daß keine gute, investigative Leistung erbracht wird.
Das Drehen an der Spirale der Aufregung sowie das Anfachen der Welle der Empörung führen zu oft zum nachträglichen Erwachen mit einem Berg von ungelösten Fragen. Wo die Wut-Bürger angefeuert werden, fehlt es allzu oft an einer tragenden Vision.
Viele Verlage suchen heute eine Synergie zwischen den Printmedien und den elektronischen Medien und dem Internet. Sie legen die Redaktionen zusammen (wie übrigens auch das Schweizer Radio mit dem Schweizer Fernsehen). So ist ein kopfloses Vermischen von Print-Journalismus mit dem Nachrichten-Journalismus entstanden. Wer den Zeitungen auf Twitter folgt, sieht sehr bald, daß der Druck auf Stunde und Minute zu reagieren, eine geduldige investigative Leistung verunmöglicht. Unter dem Druck, die Neugier des Augenblicks zu stillen, wird zumeist versucht, einen Fachreferenten mit ins Spiel zu bringen, der dann adhoc und mit professoralem Ton — jedoch nicht sehr tief schürfend — zum Problem spricht.
Ich habe, wie gesagt, die Nase voll von diesem aufgeregten Journalismus. Er verdeckt seine Schwäche, indem er wie ein Herrgott behauptet, alles zu wißen. Die Interviewerin, zum Beispiel, welche mit ihren Befragungen ihr sich vorgenommenes Ziel für das Gespräch gnadenlos anpeilt und dem Gesprächsteilnehmer gar nicht erst die Möglichkeit gibt, sich fundiert selber zu erklären, wirkt auf den Hörer oder die Leserin wie ein Herrgöttlein, das vorgibt, alles zu wißen. Die Spirale der Aufregung dreht sich immer schneller, hat jedoch kaum zu nachhaltigen Resultaten geführt, kaum Lösungen erzeugt, sondern nur neue Probleme geschaffen.
Fakten zu recherchieren braucht Zeit. Heute werden zu oft Tagesmeldungen abgeschrieben und ohne Mehrwert mit irgendeinem O-Ton vermengt. Solcher Journalismus ist das Abonnement nicht wert.
Ich möchte dafür plädieren, dass die Recherchen (Quellenmaterial, Beziehungen zu Informanten und Interessenvertretern) transparent gemacht werden, und sich die Exzellenz der Medien nicht mehr daran messen lassen sollen, ob sie mit dem Takt der News Schritt halten können. Es gilt mutig zu einem tiefer gründenden „Slow-Journalismus“ zu stehen und eine neue Sachlichkeit an Stelle der Aufgeregtheit treten zu lassen.
Ich warte darauf, dass die Medien in diesen Fragen selbstkritischer und transparenter werden.
Heinrich Bolleter
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Stefan Moll (Freitag, 04 Januar 2013 14:33)
Mit zur Aufgeregtheit gehört die emotionelle Aufladung der Berichte. So wird die Berichterstattung über Unfälle und Verbrechen mit Betroffenen-Interviews aufgemotzt. Betroffene liefern ganz viel Gefühle, haben aber kaum Distanz zum Geschehen.
Besonders "Blick" geht dabei mit unglaublichen Methoden vor. Kaum ist ein Familienangehöriger tot, steht auch schon ein Pseudojournalist vor der Türe. Dieser schreckt auch von Drohung und vor dem Fuss in der Türe nicht zurück. Im Aargau hat sich das in der letzten Zeit verschärft. Dass dieses Vorgehen Betroffene und Trauernde massiv schädigt, nehmen diese Leute in Kauf.