Es gab eine Lebensmaxime, geprägt von frommer Überlieferung. Sie lautete: „Seid dankbar in allen Dingen.“
Daran erinnere ich mich, und ich beobachte, wie der Mensch in der Postmoderne sich eine ganz andere Grundhaltung angeeignet hat. Sein Denken und Tun, das Netzwerk seiner Beziehungen, alles Gelingen im alltäglichen Leben verbindet er mit dem Anspruch, ein Recht darauf zu haben. Dankbarkeit wird da irrelevant. Je mehr eine Person sich selber als Mittelpunkt des Universums versteht, desto mehr erwartet sie, dass das Umfeld ihr etwas schuldet. In der Entwicklungspsychologie hatten wir gelernt, dass dieses Denken und Verhalten der Durchgangsphase eines Teenagers entspricht. Ein reifer Mensch jedoch dringe durch zu einem Verständnis persönlicher Verantwortung und zur Anerkennung der Leistungen anderer, und zur Einsicht, dass viele Dinge im Leben nicht selbstverständlich sind.
Wenn Schwierigkeiten auftreten und Hindernisse sich als unüberwindlich erweisen, greifen Frustration und Anschuldigungen Raum, weil die hohen Erwartungen enttäuscht wurden. Oft fehlt es an Sensibilität dafür, dass wir genug oder mehr als genug haben auf Kosten anderer, welche zu kurz kommen.
In einer Kultur der verlorenen Dankbarkeit wird es unangenehm, ja beängstigend, sich von anderen Menschen abhängig zu wissen. Der Slogan lautet: das habe ich selbst erreicht, selbst erworben, ich bin niemandem etwas schuldig.
Dankbarkeit lässt sich nicht befehlen. Aber sie kann keimen und sich entfalten wo ein Verhältnis des Vertrauens besteht. Dankbarkeit setzt Vertrauen voraus.
Wer aus der Routine des alltäglichen Lebens ausbricht wird die Nischen in seinem Leben entdecken, wo Vertrauen und Dankbarkeit neu wachsen können.
Eine Kultur der Dankbarkeit und des Vertrauens ist wie ein schönes Land in dem die Menschen gerne wohnen.
Heinrich Bolleter
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