Wer eine Kultur der Empörung pflegt

 

Wer eine Kultur der Empörung pflegt, muss eine konsensfähige Road-Map für den Weg in die Zukunft haben.

 

Sprechen wir heute noch vom „Arabischen Frühling“? Oder war diese Redensart mit zu hohen Erwartungen besetzt: Machtwechsel, Bekämpfung von Unterdrückung und Diskriminierung, Freiheit, Demokratisierung.

Tariq Ramadan ist Islamwissenschaftler und lehrt an der Oxford Universität. Er hat ein Buch geschrieben unter dem Titel „The Arab Awakening – Islam and the new Middle East“, Pinguin Books London 2012. Ich habe von diesem Buch durch einen Artikel in der Aargauer Zeitung Kenntnis bekommen. Sein Vater war der Gründer der Muslimbrüder in Europa. Er äußert sich gegenüber der Zeitung zum „Arabischen Frühling“ und der heutigen Lage in Ägypten. „Wir sind weit von dem entfernt, was man als politische Revolution bezeichnen kann“. Und: „Ich glaube nicht, dass wir Zeuge eines Demokratisierungsprozesses werden.“

 

Vielleicht sollten wir einmal nüchtern die hohen Kosten einer Kultur der Empörung eruieren und diese den erreichten Verbesserungen entgegenstellen.

Ich erinnere mich, wie viele Politiker sowie auch die Medien die Aufstände und die Empörung in Nordafrika beklatschten.

Und ich erinnere an mein Votum an der Weltkonferenz für Interreligiösen Dialog 2010 am Ohridsee (Makedonien), wo ich zu einem vorsichtigen Umgang mit einer „Kultur der Empörung“ mahnte, auf daß nicht das Vertrauen in den Dialog zerstört werde.

„ Die Empörung ändert allzu oft nichts oder nur sehr wenig an den Verhältnissen, in denen wir leben.“ „Den Medien gefällt diese Kultur der Entrüstung, und sie potenzieren die Erwartungen in die Aufstände. Entrüstung ist eine Kultur der verletzenden und verletzten Seelen. Selbstrechtfertingung und nicht Versöhnung ist ihr Ziel.“ „Ich bekenne, daß ich selber meinen Anteil an dieser Kultur der Entrüstung habe. Wie leicht ist es, negativ zu reden und Empörung zu zeigen.“ „Wer einer Kultur der Empörung huldigt, kann kurzfristig Anhänger mobilisieren, aber er raubt der heranwachsenden Generation die positive Einstellung zum Leben.“

 

Heute muss ich feststellen, dass Empörung und Aufstand ohne eine Road-Map für die Zukunft nicht Ziel führend sein kann und vielleicht sogar als unverantwortlich bezeichnet werden muss.

Es wird sehr schwierig, in einer Kultur der Empörung und in den Erschütterungen durch einen Aufstand zwischen den Parteien neues Vertrauen zu schaffen und Wege zu einem neuen Gesellschaftsvertrag zu finden, welche in die Zukunft weisen und konsensfähig sind.

Revolutionen kann und soll man nicht verbieten, wer jedoch eine Kultur der Empörung bis hin zur Revolution unterstützt, sollte eine Road-Map für die Zeit danach haben und diese mit möglichst allen Beteiligten diskutiert haben.

 

Heinrich Bolleter

 

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